Letzter Spaziergang mit Herrchen
Ich werde früh wach, schaue zum Fenster hinaus. Der Himmel strahlt in einem zarten blau, keine Wolke ist zu sehen. Heraus aus dem Körbchen, mein Fräulein, auf, auf, der Wald ruft! Das brauche ich Atlantis nicht zwei Mal zu sagen.
Langsam gehen wir über die nasse Wiese Richtung Wald. Die Sonne ist noch nicht zu sehen, ist aber als silberner Schein am Horizont zu ahnen. Diese Stunde des Tages ist besonders schön für mich. Die Natur bereitet sich auf einen neuen Tag vor; Blumen entfalten ihre Blüten, Vögel plustern im Geäst ihre Federn auf, warten auf Wärme, überall am Waldrand sieht man Rehe, Hasen, manchmal auch ein Füchslein, der Tau glitzert auf Blättern und im Gras. Es ist unendlich ruhig und friedlich.
Na ja, nicht jeder ist Frühaufsteher, doch – liebe Langschläfer – einen Versuch wäre es ganz sicher einmal wert :-)).
Ich ziehe die Sandalen aus, gehe barfuss durch das nasse Gras, spüre jeden Grashalm (auch jeden Stein), doch das soll ja gesund sein. Es ist angenehm kühl, ganz still, unbeschreiblich schön. Heute ist Ferienbeginn, Urlaubsantritt, Stau stehen, Stress, Hektik – ich beneide keinen, für mich ist jeder Spaziergang mit Atlantis Urlaub.
Wir steigen durch den Wald hoch, immer wieder kommen uns Nebelfetzen entgegen. Die Sonne geht am gegenüberliegenden Horizont auf, wärmt uns von hinten. Alles ist in weiches, silbriges Licht getaucht. Wer den Waldspaziergang um diese Zeit mit offenen Augen macht, kann jetzt unendlich viel sehen. Man darf nur nicht das Große suchen, das Ferne, man muss sich einfach bücken, und man tritt ein in eine Welt der Wunder.
Wie schön kann eine Hummel sein, die sich an den ersten Sonnenstrahlen auf einem Blatt wärmt, wie viele Arten von bunten Schmetterlingen gibt es, Tautropfen glitzern in 1000 Farben, die schönen Weinbergschnecken, die sich jetzt auf nasse und dunkle Plätze zurückziehen, Blüten in allen Farben und Formen, es ist wirklich eine Welt voller Wunder.
Wir kommen zum Rastplatz hoch über unserem Städtchen, legen uns in das Gras und schauen in das Tal, in das jetzt Leben kommt. Die Sonne wärmt schon kräftig, Atlantis sucht eine Wasserstelle auf, die ganz in der Nähe ist. Ist schon erstaunlich, wie sicher sie jede Trinkgelegenheit in der Umgebung findet. Doch dann drückt sie sich wieder an mich, schaut noch ein wenig in das Tal und – was ist das für ein Geräusch? Mein Mädchen schnarcht unverschämt laut, fast ein Frevel in dieser Stille. Na soll sie, den Rehen und Hasen wird’s gefallen und mir soll es einerlei sein.
Und in der nächsten Zeit wird sie nicht viel Gelegenheit haben am Waldrand zu schlafen. Ab Sonntag sind unsere Freunde aus Leipzig mit ihrer gelben Dogge Brian zu Besuch bei uns. Und da hat Atlantis natürlich Anderes zu tun, als zu schlafen, ich kenne ja mein Mädchen.